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15.06.2007, Pressestimmen

Mitteldeutsche Zeitung, Halle (15. Juni 2007)

Landgang mit Laterne, „Keine Haie“ war eine Überraschung, der Nachfolger klingt schon nach Klassiker

von Steffen Könau Diese Rühmanns sind eine seltsame Familie. Thomas Rühmann etwa, der als Arzt in der Endlos-Serie “In aller Freundschaft” so bekannt wurde, dass er bei einer Umfrage nach dem berühmtesten Sachsen-Anhalter vor Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher landete. Statt in aller Ruhe den Ruhm zu genießen, gründete Rühmann zum Ausgleich von der Arbeit vor der Fernsehkamera mal eben ein eigenes Theater, das im Niemandsland nahe der polnischen Grenze liegt und einfach mal nur die Stücke spielt, die der Serienstar selbst toll findet. Martin Rühmann nun ist der Bruder von Thomas. Etwas kräftiger gebaut, etwas weniger Haar. Aber die Lippen sind dieselben und das Lächeln, bei dem die Mundwinkel nach unten statt nach oben gehen, ist unverwechselbar. Martin Rühmann ist Musiker, obwohl er Theaterpädagogik studiert hat. Und er hat eine Band, obwohl er nach einem Sturz vom Fahrrad jahrelang nicht Gitarre spielen konnte. Seine unspektakulär Martin-Rühmann-Band genannte Combo veröffentlichte im vergangenen Jahr wie aus dem Nichts ein Album mit dem abwiegelnden Namen “Keine Haie”, wurde anschließend für den Deutschen Schallplattenpreis nominiert und schaffte es in der auf Liedermacherrock spezialisierten Radio-Hitparade liederbestenliste.de zur “Platte des Monats”. Jetzt ist der Magdeburger, der schon 1986 seine erste Band Stadtgeflüster gründete, wieder da. Ein Dutzend neuer Songs versammelt das von der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt geförderte und bei Tim Renners vielbeachtetem Label Motor erscheinende zweite Album “Landgang”. Lieder sind das, die einen ganz anderen Atem haben als die Stücke des Debüts, bei denen sich über Schrammelgitarren, Schlagzeug, Trompete und Bass so staunenswerte Sprachbilder türmten. “Lass uns ein paar Sachen packen / knick den Zeiger von der Uhr / lass uns aus dem Käfig steigen / zu den Resten der Natur”, reimte Rühmann damals sarkastisch, und das klang schon mehr nach den dunklen Epen von Element of Crime und dem staubigen Countryrock von Erdmöbel als nach den lokalen Teenie-Pop-Rivalen Tokio Hotel. Aber mit Popmusik im Sinne von leichtgewichtig gereimtem Rock haben Rühmann und seine Begleiter Lorenz Wühler (dr), Dirk Rudolf (git / tr) und Lars Düseler (bg) nun gar nichts mehr am Hut. Mit Mitte 40, so alt sind die vier späten Newcomer im Durchschnitt, zählen andere Werte mehr als kreischende Jungmädchenscharen. Das macht “Landgang” mit sanftem Nachdruck deutlich. Hier gibt es keine fertig erzählten Geschichten, keine Melodien, in die man sich ohne Nachdenken kuscheln kann. Martin Rühmann, der alle Stücke komponiert und getextet hat, bevorzugt die Sprache der großen deutschen Liederdichter Gerhard Gundermann, Gerulf Pannach oder Dieter Süverkrüpp. In “Freier Tag” sind die Verse wie eine Krümelspur gebaut, die den Hörer hineinzieht in eine Geschichte, die er sich selbst erzählt: Rühmann reißt an und lässt offen, er malt Bilder, rahmt sie aber nicht, geht an Land, und leuchtet sich mit einer blakenden Laterne selber heim, die Stimme eher Nick Cave als Caruso. Seine Band musiziert dazu passenderweise erdig und gänzlich glitterfrei. Nicht Rock ist das, nicht Folk oder in Liedermacher-Tränen eingelegtes Kabarett. “Landgang” erinnert an eine Sammlung stilvoller Chansons, unaufgeregt und wie im Plauderton erzählt. “Ich mach heute Nacht das Fenster auf / hol meine Flügel / und spring raus” singt Rühmann in “Träumen” mit der erfahrenen Stimme eines Mannes, der weiß, wo der Tresen steht. Ja, das Leben ist eine “Achterbahn” (Liedtitel) und die “Blaue Lokomotive”, die einen abholt ins Land der Fantasie, hat dauernd Verspätung. Doch kein Grund, traurig zu sein. Auf “Landgang” weint nur die Gitarre, der Rest der Band hoppelt meist nur eher gemächlich voran. Wolfgang Borchert wird in “Versuche es” entdeckt, “Schwarzer Engel” dräut düster, mit Sven Regener-Trompete und verzerrter Gitarre, dafür ist “5 000 Meilen” ein richtiger Hit, mit Feuerzeugschwenken, Gänsehautgefühl und Stadionmelodie.

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